Schreibmaschine mit Text "Corona Update" auf dem Blatt

[2021.05.20] Presseanfrage und unsere Antworten

Wir bekamen in der letzten Zeit verschiedene Anfragen zum Thema “Schulen und Pandemie”. Unsere Antworten waren dann Teil der Berichterstattung. Allerdings – und das kann man auch niemandem vorwerfen – konnten nur wenige Sätze unserer ausführlichen Antworten in die Zeitungen gelangen. Daher haben wir uns entschieden, diese Antworten hier auf unserer Webseite zu veröffentlichen, weil wir denken, dass diese Antworten auch viele Fragen unserer Eltern beantworten.

Die folgenden Fragen wurden verkürzt zusammengefasst und alle Bezüge zur fragenden Person gelöscht. Uns geht es darum, die ausführlichen Antworten öffentlich anzubieten, nicht um den direkten Bezug zu Journalist:innen *.

These:

[Verkürzt:] Schülereltern beklagen sich, dass Lehrer sich aus dem Distance-Learning zurückziehen, keine Aufgaben mehr verteilen oder keine Videokonferenz mehr durchführen.

Die Fragen:

  • Beobachtet die Stadtschulpflegschaft einen Rückzug aus dem Distance-Learning?
  • Was könnten die Gründe dafür sein?
  • Wie könnte den Lehrern geholfen werden?

Unsere ausführliche Antwort:

Zum einen haben sich in einigen Schulen die Strukturen für Distance-Learning aus verschiedenen – zum Teil nachvollziehbaren – Gründen während der Pandemie nie ordentlich aufbauen können, zum anderen gibt es tatsächlich für die Lehrer:innen sehr unterschiedliche Herausforderungen, die im Schulalltag bewältigt werden müssen und die auf einen “oberflächlichen Blick” als “Rückzug aus dem Homeschooling” betrachtet werden könnten. Nach unserer Auffassung ist das in weiten Teilen nicht so! Auch hier gibt es erhebliche Unterschiede von Schule zu Schule und – leider – auch von Schulform zu Schulform.

Von vielen Schulen erfahren wir, dass das Distance-Learning sogar deutlich besser geworden ist, weil man bessere Werkzeuge hat und engagierte Lehrer:innen sich mittlerweile an die Werkzeuge gewöhnt und ihre methodischen und didaktischen Ansätze an das Distance-Learning angepasst haben. Auch die Schüler:innen haben häufig mittlerweile ihre Sicherheit im Umgang mit der Technik und der Lernmethodik entwickelt und kommen mit DIESEM Aspekt gut klar. Soziale Kontakte vermissen alle – vor allem die Schüler:innen – und das führt gelegentlich zu “innerer Kündigung” mit vielen psychologischen Folgen, die noch viele Jahre ihre Auswirkungen haben werden. Aber auch hier sind es Ausnahmen und keine Trends.

Die Betreuungsdichte und -qualität der Lehrer:innen ist sehr unterschiedlich. Wenn aber die Politik auch verlangt, dass z.B. Kinder in der Notbetreuung (mittlerweile ist ja auch von pädagogischer Betreuung die Rede!) und Wechselunterricht (d.h. Kinder in der Klasse UND zuhause gleichzeitig) perfekt betreut werden müssen, woher sollen dann die nötigen Kapazitäten kommen? Die Gruppe, die mir persönlich am meisten leid tut, sind die Kinder mit Förderbedarf (oft gibt es von der Politik nur sehr unterschiedlich sinnvolle Regelungen für “Grund- und Förderschulen”, aber die Hälfte der Kinder mit Förderbedarf lernt in Bonn im “Gemeinsamen Lernen”!). Die unbedingt erforderliche besondere Betreuung der Förderkinder, die nur so vernünftig unterrichtet werden können, ist zurzeit häufig nicht möglich (trotz großen Engagements von allen Seiten).
Dazu kommen Lehrer:innen, die geimpft werden konnten und dann vielleicht einige Tage ausfallen… Und der Verdacht auf Burnout ist auch bei den Lehrer:innen deutlich im Vormarsch (wie bei anderen Beteiligten übrigens auch).

Die Schulen sind am absoluten Limit ihrer Kapazitäten und fast alle Lehrer:innen sind – genauso wie die Eltern, die sich neben dem Job noch um die Kinder kümmern müssen – einfach am Ende mit ihren Kräften! Wir hören auch ab und zu von Lehrer:innen, die sowohl ihren Beruf ausüben sollen, aber gleichzeitig selbst (mehrere) Kinder zuhause haben… Mit ein wenig Phantasie kann man sich dann vorstellen, was in solchen Situationen passiert. Die Politik schafft ständig, kurzfristig neue Regeln, hört dabei nicht auf diejenigen, die vor Ort in der Praxis stehen (Schulen, Lehrer:innen UND Eltern, vgl. LEK-Veröffentlichungen unter https://lek-nrw.de/) und verlangt in kurzem Abstand erhebliche Änderungen an eigentlich funktionierenden Systemen. Mehr Spielraum für Vor-Ort-Lösungen wurden schon häufig gefordert. Dazu kommen die verlorenen Zeiten für Tests und die maßlos überzogenen Vorstellungen von “Zentralprüfungen bei vollem Unterrichtsstoff” für die Abschlussklassen. Dieses Gemenge führt ALLE Beteiligten am Schulsystem zurzeit an die Grenzen und darüber hinaus.

Aber am Ende steht für mich: die MEISTEN Lehrer:innen arbeiten gut und betreuen auch so gut es geht. Und leider geht es nicht überall gut!


Da, wo Schulleitungen “Leitlinien” für den Unterricht geben, die Kapazitäten gut einteilen (was sie im Regelfall tun), die Aufgabe zu unterrichten als “Team-Aufgabe” gesehen wird und da, wo die Ausstattung passt, klappt es meistens! Leider wurden gerade bei der Ausstattung in den letzten Jahren viele wichtige Entwicklungen versäumt. Und nun zu glauben, dass man mit “Geld allein” (verteilt auf die einzelne Schule nur ein Tropfen auf den heißen Stein) oder ein paar “iPad-Koffern” die Situation deutlich verbessern kann, ist eben wiederum nur die eine Hälfte der Medaille. Lehrer:innen können – bis auf Ausnahmen – keine digitalen Unterrichtsmaterialien an iPads ERSTELLEN (Tabletts sind eher zum “konsumieren” geeignet (manchmal auch sehr kreativ), weniger aber für die Erstellung von sachlichen Inhalten, digitalen Unterrichtsmaterialien, etc.)

Und genau da, wo es z.B. an Ausstattungen hapert, klappt es dann folgerichtig weniger gut. Lehrer:innen, die in der Schule weder Internetzugang (WLAN – falls es das überhaupt in Bereichen gibt, die für Lehrer:innen frei gehalten werden können –  ist i.d.R. nicht die beste Lösung, Anschlussdosen gibt es aber viel zu wenige) oder dienstliche Geräte zur digitalen Unterstützung ihrer Arbeit haben, können ihre Aufgaben im Distance-Learning nicht wahrnehmen. Wenn ich morgens 2 Stunden in der Klasse Präsenz-Unterricht habe, kann ich nicht gleichzeitig Online sein (leider fehlt häufig die Ausstattung für einen echten “Hybrid-Unterricht” in JEDEM Klassenraum), und wenn ich in der nächsten Unterrichtsstunde die Kinder online unterrichten soll, MUSS ich IN DER SCHULE die entsprechenden Möglichkeiten haben. Wo das nicht gegeben ist, leidet der eine oder andere Weg zu unterrichten. Die Vorbereitung von digitalem Unterricht benötigt, wenn er gut gemacht werden soll, wegen der fehlenden “Vorlagen” (aus früheren Jahren) erheblich mehr Zeit (ich hörte schon von “4-5 x so lange wie sonst”) und dann müssen auch noch digitale und Präsenz-Unterrichtsstunden gleichzeitig vor- und nachbereitet werden. Wer viele Aufgaben schriftlich stellt – weil das “Schul-Cloudsystem” instabil ist – muss noch mehr nachlesen, kommentieren und zeitversetzt zurückmelden – schriftlich und einzeln. Mir kann niemand, der die Thematik auch nur halbwegs kennt, erzählen, dass man das alles schaffen kann!

Bei den Gymnasien und Gesamtschulen klappt der Unterricht zwischen “gut” und “irgendwie doch”, bei Haupt- und Realschulen sieht das manchmal schlechter aus (auch hier gibt es in allen Fällen Ausnahmen in jede Richtung!). Den “Lehrer:innen” das vorzuwerfen, führt in vielen Fällen zu einer ungerechten, sachlich falschen Bewertung. Und ja, natürlich gibt es vereinzelte Lehrer:innen, wo die Betreuung nicht klappt. Nach unserer Auffassung kann man aber nicht von einem “Trend” reden.

Wie man den Schulen und den Lehrer:innen helfen kann, muss man – ganz individuell vor Ort – erfragen und auch die Lösungen vor Ort suchen. Dazu sind die Probleme zu vielfältig. Die Schulträger müssen viel flexibler werden in der Unterstützung von (zulässigen) Lösungsfindungen vor Ort und die Politik sollte mehr Vertrauen in die Experten vor Ort (Schulen, Lehrer:innen UND ELTERN) stecken und weniger “Kontrolle” und “Vorgaben” einführen. Tipps und Gesprächsbereitschaft gibt es dazu von den Eltern schon seit Beginn der Pandemie…

Und man muss das Gesamtsystem sehen und sich nicht auf “Lehrer:innen muss geholfen werden” beschränken. ALLEN muss geholfen werden. Jedem auf seine Weise.

Jetzt, wo der Präsenzunterricht wieder (vorübergehend?) zum Normalfall wird, dürfen wir vor allem nicht aufhören, an die “Zeit danach” zu denken. Kinder die krank sind und dem Unterricht nicht folgen können, müssen auch krank sein dürfen! Aber Kinder die z.B. mit einem gebrochenen Bein für 6 Wochen zuhause sind, könnten doch wenigstens für ein paar Stunden am Tag “in die Klasse zugeschaltet werden”, wenn die Ausstattung (gerade auch in den Klassen) dafür geeignet ist. Wir fordern für alle Klassen eine digitale Ausstattung für echten Hybrid-Unterricht (und den bitte per Verkabelung und nicht per WLAN). Am Ende muss es gleichwertig sein, ob jemand vor Ort ist oder von außen zugeschaltet wird.

Die “schöne, neue, motivierende Schulwelt” muss aus der Pandemie lernen und sich auf neue Methoden und Situationen einstellen. Dazu sind viel mehr Geld, Menschen (technisch und pädagogisch eingesetzt) und eine – an den Gesetzen ausgerichtete – Infrastruktur UND Support-Strukturen vor Ort erforderlich. Wenn wir diese Dinge mit Verstand und Blick auf die eigentlichen Aufgaben des Schulsystems (vgl. SchulG NRW §2) aufbauen, ist ALLEN geholfen.

Entschuldigen Sie bitte diese lange Antwort, aber es ist eben nicht einfach auf ihre drei Fragen zu antworten, ohne einer unangemessenen Vereinfachung zu unterliegen.

Mit freundlichen Grüßen
Andreas Beutgen
– Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft Bonn –

* Übrigens: Die Schreibweise der männlichen und weiblichen Form von Begriffen mit einem “:” sorgt dafür, dass sogenannte “Screenreader” für Sehbehinderte einfach im Wort eine kurze Pause machen “Lehrer … innen” und nicht z.B. vorlesen “Lehrer – Stern – innen”. Daher stellen wir uns zurzeit auf diese Schreibweise um… Natürlich meinen wir Lehrer, Lehrerinnen und Lehrende jedweden Geschlechtes… 🙂